Die Hessische Verfassung
Widerstandskämpfer und politisch Verfolgte der NS-Zeit erarbeiteten maßgeblich die Hessische Verfassung. Auf dem Weg zur Hessischen Verfassung legten die Amerikaner im Februar 1946 einen „Fahrplan“ zur Ausarbeitung einer Verfassung fest. Dazu wurde zunächst ein beratender Landesausschuss am 26. Februar 1946 mit 48 Abgeordneten (jeweils 12 Vertreter von SPD, CDU, KPD und LDP) einberufen, der die US-Militärregierung bei Gesetzesvorhaben unterstützen und eine Brücke zwischen Landesregierung und Parteien sein sollte. Nach dieser parlamentarischen Übungsphase wurde der Ausschuss durch die am 30. Juni 1946 gewählte Landes- bzw. Verfassungsversammlung abgelöst, bei der bei einer Wahlbeteiligung von 71% die SPD 44,3%, die CDU 37,3, die KPD 9,7% und die LDP 8,1% erzielten. Die 90 gewählten Mandatsträger aus den Regierungsbezirken (darunter vier Frauen, u.a. Elisabeth Selbert, die später als Mitglied im Parlamentarischen Rat an der Ausarbeitung des Grundgesetzes beteiligt war) sollten bis September 1946 einen Verfassungsentwurf erarbeiten.
Der aus der Verfassungsversammlung berufene 29-köpfige Verfassungsausschuss (13 Abgeordnete der SPD, zehn der CDU sowie je drei der KPD und LDP) unter dem Vorsitz von Ludwig Bergsträsser erarbeitete dann ab August 1946 die zukünftige Hessische Verfassung. In den Diskussionen zwischen den vier Parteien um eine zukünftige Verfassung spielten die Erfahrungen mit der Weimarer Verfassung eine entscheidende Rolle. Man wollte eine demokratische Verfassung erarbeiten, die den Parlamentarismus betonte und diktatorische Entwicklungen verhindern sollte. Wesentliche Streitpunkte zwischen den Parteien waren der Wunsch nach einem Staatspräsidenten (CDU, LDP), die Einberufung einer zweiten Kammer (CDU, LDP) und die Sozialisierung von Leit- und Schlüsselindustrien (SPD, KPD). Nach einigen strittigen Diskussionen einigte man sich schließlich: in Art. 155 wurde festgelegt, dass ein Zweikammersystem vorbehaltlich durch ein Gesetz eingeführt werden könnte und in Art. 41 wurde die Sozialisierung von Schlüsselindustrien festgesetzt. Die Position des Staatspräsidenten wurde letztendlich von der CDU fallengelassen.
Nach dem die US-Militärregierung den Entwurf genehmigt hatte und in der dritten Lesung die Verfassungsversammlung mit 82 Stimmen (SPD, CDU und KPD) zu sechs Stimmen (LDP) dafür votierten, wurde die Volksabstimmung für den 1. Dezember 1946 angesetzt. Zum Volksentscheid konnten die Bürger in Hessen über die Verfassung einerseits und über den Art. 41 (Sozialisierung von Schlüsselindustrien) anderseits abstimmen sowie den ersten Landtag wählen. Die gesonderte Abstimmung über den Art. 41 hatte die US-Militärregierung „nach heftigen Diskussionen bis nach Washington hinein“ festgelegt. Das Ergebnis der Volksabstimmung war eindeutig: 76% bzw. 72% stimmten für die Verfassung bzw. die Durchsetzung des Artikels 41.
Die Meinungsführer bei der Entstehung der Hessischen Verfassung waren vor allem Ludwig Bergsträsser, Friedrich Caspary, Christian Stock, Erich Köhler, Karl Kanka, Georg Stieler, August-Martin Euler und Oskar Müller. Fast alle kamen aus dem Widerstand, hatten schlimme Erfahrungen in Konzentrationslagern erlebt und wollten gemeinsam mit der Verfassung die Grundlagen für eine Demokratie in Hessen schaffen.
Publikationen zur Hessischen Verfassung
Verfassung des Landes Hessen – Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten
(Auszug)
Charta der Vereinten Nationen
Bestell-Nr. X002-HE
Hessische Landeszentrale für politische Bildung (Hrsg.)
Faksimile des Originals der Urfassung der Verfassung des Landes Hessen
Wiesbaden: Hessische Landeszentrale für politische Bildung, 2016. – 20 S.
2016 jährte sich zum 70. Mal Verabschiedung, Annahme und Inkrafttreten der Hessischen Landesverfassung.
Bestell-Nr. X004-HE
Kerwer, Jürgen (Hrsg.)
Zwischen Kriegsende und modernen Ansprüchen: 70 Jahre Hessische Verfassung
Ausgewählte Debattenbeiträge
Polis 58
Wiesbaden: Hessische Landeszentrale für politische Bildung, 2017. – 43 S.
Vor 70 Jahren am 1. Dezember 1946 trat die hessische Verfassung in Kraft. Aus diesem Anlass fand – initiiert von der Historischen Kommission für Hessen und in Kooperation mit der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung – im November 2016 in Marburg eine Podiumsdiskussion statt. Die Veranstaltung bezweckte eine Annäherung an die Verfassung aus zeithistorischer Perspektive, aber auch eine Debatte über ihre Entwicklung und ihre Aktualität. Die Impulsreferate haben wir in diesem Band zusammengeführt und im Anhang auch die anschließende Diskussion dokumentiert.
Bestell-Nr. P058-HE
Mühlhausen, Walter
Die Entstehung der Hessischen Verfassung 1946
Blickpunkt Hessen Nr. 20/2015
Wiesbaden: Hessische Landeszentrale für politische Bildung, 2015. – 24 S.
Bereits 20 Monate, nachdem amerikanische Truppen erstmals bis in Gebiete des heutigen Hessen vorgestoßen waren, trat im Land eine Verfassung in Kraft, und zwar mit den Weihen des Volkes versehen. Dass Hessen schon am 1. Dezember 1946 mit der Volksabstimmung über die Verfassung zum Verfassungsstaat wurde, ist umso erstaunlicher, als der demokratische Wiederaufbau auf Trümmern erfolgte, auf sichtbaren und unsichtbaren.
Bestell-Nr. H020-HE